8. October 2021
The Article “Auf dem Weg zur Hochburg der Künstlichen Intelligenz” talks about the opening of the ScaDS.AI Living Lab and Graduate School in Leipzig. This article appeared in the Leipziger Volkszeitung (LVZ) on October 8th 2021. The author is Matthias Wöbking.
“Living Lab” und Graduiertenschule in Leipzig und Dresden eröffnet – mit jährlich 20 Millionen Euro will Sachsen zum bundesweiten KI-Zentrum werden.
Leipzig. Seinem Namen nach lebt dieses Labor. Da ist es nur konsequent, dass das “Living Lab”, das die Universität Leipzig am Donnerstag eröffnet hat, auch Augen besitzt: Vier Kameras sind oben in die vier Ecken des Zimmers montiert. Sie registrieren jede Bewegung, und schon nach kurzer Zeit kann ein selbstlernender Computer die Menschen im Raum voneinander unterscheiden. “Vor allem anhand der Kleidung”, sagt Alexander Leipnitz, wissenschaftlicher Assistent mit einem Schwerpunkt auf “Visual Product Matching”. Wie nah kommen sich die Leute? Wer könnte hier wen mit einem Virus anstecken? Es sind Fragen der Gegenwart, auf die die Künstliche Intelligenz (KI) Antworten finden soll. Auf einem großen Monitor bildet sie die Bewegungen und Begegnungen der versammelten Leute ab.
Die wirtschaftlichen Möglichkeiten einer solchen Technologie sind ebenso enorm wie ihre gesellschaftlichen Folgen. “Die Chancen und Umbrüche in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sind kaum zu ermessen”, sagte Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) bei der Eröffnung. Gleichzeitig seien Maschinen, die mit Hilfe riesiger Datenströmen lernen und Entscheidungen treffen, aber “eine Macht, vor der wir uns auch ein bisschen fürchten”, stellte der Politiker fest. “Auch deshalb müssen wir uns damit befassen”, findet er.
In der KI-Forschung ist die Uni Leipzig mindestens seit 2014 sichtbar vorne dabei. Zusammen mit der Technischen Universität Dresden gründete man damals das Zentrum für skalierbare Datenanalyse, das seit 2019 zusätzlich die Künstliche Intelligenz im Namen führt. Momentan wird das “ScaDS.AI”, so die Abkürzung, zu einem von bundesweit fünf KI-Kompetenzzentren ausgebaut und steht im Mittelpunkt der sächsischen KI-Strategie.
Die bisherige Projektförderung soll ab Juli 2022 für zunächst sieben Jahre verstetigt werden, hofft der Leipziger Informatik-Professor Erhard Rahm, einer der zwei ScaDS.AI-Direktoren. Jährlich rund 20 Millionen Euro sollen das Bundesforschungsministerium und der Freistaat Sachsen dann gemeinsam zuschießen, verteilt auf die beiden Standorte in Leipzig und Dresden. Parallel erhält Leipzig in den nächsten fünf Jahren, wie berichtet, für weitere 46 Millionen Euro einen Hochleistungsrechner, der in großer Geschwindigkeit riesige Datenmengen bewältigt.
Das ScaDS.AI hat seinen Leipziger Sitz seit Ende 2020 im Löhrs Carré in der Nordvorstadt. Auf insgesamt 2400 Quadratmetern stehen hier 110 Arbeitsplätze zur Verfügung. Gleichzeitig mit dem “Living Lab” wurde dort nun auch eine Graduiertenschule eröffnet. 23 Doktorandinnen und Doktoranden können künftig allein am Leipziger Standort in einem dreijährigen Programm promovieren. Eine Stufe darunter bietet die Uni Leipzig seit Sommersemester 2020 den Master-Studiengang “Data Science” an, den bereits 100 junge Menschen belegt haben. “Die Absolventinnen und Absolventen werden händeringend gesucht”, betonte Rahm. Zudem sind ach ScaDS.AI acht neue Professuren vorgesehen, eine davon soll Humboldt-Professor Sayan Mukherjee antreten, ein international renommierter KI-Experte.
Neben den Unis in Leipzig und Dresden werden zehn außeruniversitäre sächsische Forschungseinrichtungen ins ScaDS.AI-Netzwerk eingebunden. “Wir wollen die besten Köpfe zusammenbringen”, sagte Rahm. Das “Living Lab” wiederum soll zum Schaufenster und Erfahrungsraum für jenen überwiegenden Teil der Bevölkerung werden, der keinen Schimmer hat, was so eine lernende Maschine mit den gigantischen Datenströmen eigentlich anstellt.
“Unser Ziel ist eine Wissenschaft zum Anfassen”, erläuterte ScaDS.AI-Geschäftsführer Eric Peukert. In Diskussionsforen, bei Tagen der offenen Tür oder auch parlamentarischen Abenden für Abgeordnete von Landtag oder Stadtrat werde erlebbar, was das eigentlich ist – Künstliche Intelligenz, Big Data und Data Science. Mit mehreren sogenannten Demonstratoren wollen die Forscher, so Living-Lab-Leiter Thomas Burghardt, “möglichst jeweils eine Geschichte erzählen”. Eine dieser Geschichten handelt von der Maschine, die mit ihren vier Augen im “Living Lab” sieht, wer sich möglicherweise mit einem Virus ansteckt. “Die KI identifiziert die Menschen und kann sie wiederentdecken”, erklärt Leipnitz. Wobei zumindest hier an der Uni der Datenschutz gewährleistet sei: Die Informationen werden nicht gespeichert.
Allerdings macht eine KI gelegentlich auch Fehler. Das verdeutlicht ein anderer “Demonstrator”: Der dortige Rechner ist darauf trainiert, anhand von Lungen-Röntgenbildern zu erkennen, ob eine COVID-19-Erkrankung vorliegt. Das funktioniere ganz gut, sagt Forscher Christian Martin, solange man dem Computer tatsächlich Lungen-Röntgenbilder vorlege. “Aber etwas anderes kennt er nicht.” Mit dem Foto einer Katze kann die Maschine hingegen nichts anfangen und liefert am Ende ihrer Analyse ein merkwürdiges Ergebnis. Ja, behauptet sie, diese Patientin ist mit dem Coronavirus infiziert.